Entwurf über mein Dirigieren
Das Umfeld, in dem ich musikalisch aufwuchs, war reich an Möglichkeiten, das "Anführen“ von Ensembles ganz nebenbei zu erlernen: Die Kirchenmusik, das reiche Angebot der florierenden Musikschule, die vielen kleinen öffentlichen und privaten Anlässe, die schnelles Planen, Programmieren und Proben erforderten.
Nachdem ich am Beginn des Studiums in Wien zwischen Violine und Orgel einige Zeit geschwankt hatte, entschied ich mich bald ganz für die Violine und war für viele Jahre ein "Geiger“.
Doch wer einige Zeit auf einer Orgel Pedal getreten hat, vergisst das auch beim Geige spielen nicht: Besonders bei Bach wirkt die Erfahrung des kontrapunktischen Denkens stark nach.
Und wer in der Jugend Chöre und Ensembles geleitet hat, wird auch beim solistischen Spiel mit Orchester nicht aufhören, an alle anderen Stimmen zu denken, die den Solopart umgeben.
So war es, ausgehend von den Violinkonzerten Mozarts, durchaus natürlich, bald jenen Teil des Konzert - Repertoires, der ohne Dirigenten aufführbar war von der Sologeige aus zu leiten.
Der nächste Entwicklungsschritt ergab sich aus der Praxis des Konzertlebens: Meine Kenntnis der Partituren überzeugte Orchester, Veranstalter, und man begann, mir ganze Programme anzuvertrauen, zuerst als directing soloist, dann auch als Dirigent.
Es gab noch eine andere Quelle, die mein Interesse für Partituren speiste: Ich hatte sehr früh, angeregt durch die "Kulturtage“ meiner Heimatstadt Kapfenberg, besondere Neugier auf Neue Musik und studierte Partituren neuer Werke mit Staunen für alle Klangmöglichkeiten und formalen Gegebenheiten. Das erfordert natürlich genaues Schauen und inneres Vorstellen, oft kann man nicht mehr auf schon Gehörtes zurückgreifen.
Und schliesslich wurden die Dirigenten, mit denen ich als Geiger arbeitete, meine geheimen Lehrmeister: selbstverständlich versuchte ich sowohl vorteilhaftes Dirigier- und Probenverhalten in mein Dirigieren zu integrieren als auch offensichtliche Fehler zu vermeiden.
Da ich nach wie vor als Solist und Kammermusiker agiere bemerke ich ein starkes Bedürfnis, als Dirigent - besonders bei grossen Orchestern – die Aktivität, die für Kammermusiker und Solisten selbstverständlich ist, auch bei Orchestermusikern zu erreichen. Die dazu nötige Motivationskunst zu erlernen, ist nicht nur ständige Herausforderung sondern auch andauerndes Vergnügen.
Ein frühes Schlüsselerlebnis möchte ich nicht unerwähnt lassen. Als blutjunger Geiger substituierte ich an der Wiener Staatsoper. Karajan studierte den Ring ein. Mit den 1. Violinen arbeitete er wohl eine dreiviertel Stunde lang an der großen Sololinie im 3. Akt Siegfried. Das war ein erleuchtend tiefes Erlebnis für mich. Jede Note, jede Nuance, jede Linie bekam Bedeutung und Ausdruck. Ein Meisterstück musikalischer und dirigentischer Gestaltungsmöglichkeit, das mich bis heute anregt und leitet!